Brief an Reichskanzler Heinrich Brüning

 

15. Januar 1932

 

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

 

Reichsinnenminister General Groener hat mir in Ihrem Auftrage, Herr Reichskanzler, am 6. Januar 1932 mitgeteilt, es bestände die Absicht, eine Verlängerung der Amtszeit des Reichspräsidenten von Hindenburg durch Beschluß des Deutschen Reichstags herbeizuführen. Da zur Erreichung der dafür als notwendig erachteten Zweidrittelmehrheit die Zustimmung der NSDAP erforderlich ist, wurde meine Stellungnahme hierzu erbeten.

 

Ich habe - überrascht von dem Vorschlage - in den verschiedenen, mit Ihnen, Herr Reichskanzler, und dem Reichsinnenminister General Groener und Staatssekretär Dr. Meißner gehabten Besprechungen meine Bedenken gegen diese eigenartige Absicht vorgebracht. Meinen Bemühungen gelang es, einen Weg zu finden, der es ermöglicht haben würde, die Person des Reichspräsidenten aus dem peinlichen Zusammenhang mit der bezeichneten Aktion zu bringen. Entgegen meiner Absicht, die Angelegenheit diskret zu behandeln, wurde aber die Öffentlichkeit insoweit in Kenntnis gesetzt, daß aus begreiflichen parteipolitischen Interessen eine Pressekampagne durch ungeschickte Kombinationen und unanständige Pressionen, ja sogar durch Fälschungen die Lage verwirrte und meine Entscheidung erschwerte. Da der von mir gewünschte Weg der Überwindung dieser Schwierigkeiten nicht durchzudrängen vermochte, bleibt mir angesichts der Art der Behandlung der Frage durch einen Teil der Presse, angesichts der Kombinationen und unwahren Behauptungen, die sich daraus ergaben, kein anderer Weg, als auch von mir aus die Öffentlichkeit von den Gründen zu unterrichten, die meine Stellungnahme bedingten. Denn ich bin ja nicht in der Lage, Herr Reichskanzler, Ihre Aktion als möglich anzusehen, sowohl vom rein verfassungsmäßigen Standpunkt aus, als auch auf Grund einer politischen Überprüfung.

 

Ich habe mir erlaubt, die in dieser Denkschrift niedergelegten rein verfassungsrechtlichen Bedenken ehrerbietigst dem Herrn Reichspräsidenten zu unterbreiten. Die politischen Argumente, die gegen die Aktion sprechen, würde ich nicht anführen, wenn nicht die Notwendigkeit der Durchführung dieses Planes sowohl von Ihnen, Herr Reichskanzler, als auch von anderen Seiten mit Gründen hauptsächlich außenpolitischen Charakters motiviert worden wäre. Da ich aber diese Argumente in erstaunlicher Übereinstimmung in einem Teil der deutschen Presse veröffentlicht gesehen habe, bin ich gezwungen, auch ihre Widerlegung öffentlich vorzunehmen. Denn ich habe in all den Besprechungen nicht eine Begründung gefunden, deren Widerlegung irgendwelche Schwierigkeiten bereiten würde. Im Gegenteil: Ich glaube, daß zumindest die in meiner Bewegung stehenden deutschen Volksgenossen sich auf das einmütigste hinter die ihnen nunmehr von mir bekanntgegebene Auffassung stellen werden. Ich glaube dabei noch darüber hinaus, daß es für die Zukunft nützlich ist, die Widerlegung der Begründung einer Absicht öffentlich vorzunehmen, die in anderer Form und mit anderen Methoden vielleicht schon morgen wieder auftauchen könnte.

 

Die Weimarer Verfassung ist das Grundgesetz und damit die Rechtsgrundlage der deutschen Republik. In Artikel 1 der Verfassungsurkunde stellt sie fest:

 

1. Das Deutsche Reich ist eine Republik.

2. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.

 

Dementsprechend bestimmt auch der Artikel 41: Der Reichspräsident wird vom ganzen Volk gewählt.

 

Daß diese Urwahl durch den verfassungsändernden Beschluß einer qualifizierten Mehrheit des Reichstags ersetzt werden könnte, widerspricht meines Erachtens den klaren Bestimmungen der Reichsverfassung. Wäre dem nicht so, dann würde die Reichsverfassung in Artikel 43 nicht fordern, daß der Reichspräsident nur durch eine allgemeine Volksabstimmung abgesetzt werden kann, nicht aber durch eine Mehrheit des Reichstags. Dieser Zweidrittelmehrheit ist in dem genannten Artikel der Reichsverfassung lediglich das Recht einer Antragstellung zur Volksabstimmung vorbehalten. Wie sehr die Reichsverfassung das Ergebnis der Volksabstimmung (d. h. also den einfachen Mehrheitsentscheid der Urwähler) über jede, auch verfassungsändernde Mehrheit des Reichstags stellt, geht meiner Auffassung nach völlig zweifelsfrei aus dem weiteren Satz des Artikels 43 hervor, daß nämlich die Ablehnung des Antrags auf Absetzung des Reichspräsidenten durch den Ausgang der Volksabstimmung als neue Wahl gilt und automatisch die Auflösung des den Antrag stellenden Reichstags zur Folge hat. Selbst wenn also eine Zweidrittelmehrheit des Reichstages die Absetzung des Reichspräsidenten wünscht, die darauf durchgeführte Volksabstimmung aber in einfacher Mehrheit diesen Antrag ablehnt, bleibt der Reichspräsident in seinem Amte und gilt sogar damit überhaupt wieder als neu gewählt. Der Reichstag selbst jedoch verfällt der Auflösung.

 

Würden die Gesetzgeber der Weimarer Verfassung eine Neuwahl oder auch nur eine Amtsverlängerung im Augenblick der Abfassung dieser Urkunde durch eine Reichstagsmehrheit für angängig gehalten haben, dann hätten sie ebenso sicher eine entsprechende Bestimmung in der Reichsverfassung getroffen, wie sie damit allerdings aber auch umgekehrt logischerweise der gleichen Mehrheit die Befugnis zuerkannt haben würden, den Reichspräsidenten auch wieder abzusetzen. Denn es ist klar: Die Instanz, die eine Einsetzung vornimmt, muß auch die Absetzung aussprechen können. Wenn eine Zweidrittelmehrheit den Reichspräsidenten zu wählen befähigt ist, muß ihn eine andere Zweidrittelmehrheit ebenso auch absetzen können. Die Reichsverfassung lehnt aber diese Befugnis des Reichstags von vornherein als irrig ab, indem sie ausdrücklich bestimmt, daß der Reichspräsident vom Volke gewählt werden muß und nur daher auch wieder vom Volke allein abgesetzt werden kann.

 

Ein Aufheben dieser Bestimmungen der Reichsverfassung durch verfassungsändernde Mehrheit kann daher meines Erachtens nur dann stattfinden, wenn grundsätzlich damit auch das Recht des Reichstags auf Absetzung festgelegt wird. Damit ist die Wahl des Reichspräsidenten den wechselnden Zufällen parlamentarischer Majoritäten genauso ausgeliefert, wie umgekehrt auch Stellung und Vollmacht des jeweiligen Reichspräsidenten dauernd den gleichen unsicheren Faktoren preisgegeben sein würden.

 

Dabei ist es meines Erachtens gänzlich abwegig, wenn Sie, Herr Reichskanzler, die Verlängerung der Präsidentschaft des seinerzeitigen Reichspräsidenten Friedrich Ebert hier zum Vergleich oder gar zur Stützung Ihres jetzigen Standpunktes heranziehen. Friedrich Ebert wurde durch die Nationalversammlung zum vorläufigen Präsidenten gewählt und durch einen Reichstagsbeschluß in seinem Amte verlängert. Dieser Vorgang erhielt schon damals nicht die allgemeine Zustimmung maßgeblicher Staatsrechtslehre. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei jedenfalls hat diesem Verfahren des Deutschen Reichstages niemals ihre ideelle Zustimmung ausgedrückt, sondern im Gegenteil den Vorgang als verfassungswidrig abgelehnt.

 

Generalfeldmarschall von Hindenburg ist damit als erster Reichspräsident auf dem verfassungsmäßig vorgeschriebenen Wege zur Wahl gestellt und gewählt worden. Die Bedenken, die aus verfassungsrechtlichen Gründen gegen die Verlängerung der Amtsdauer des Reichspräsidenten Ebert durch Beschluß des Deutschen Reichstags bestanden und von der nationalsozialistischen Bewegung vertreten wurden, müßten infolgedessen heute eher noch schärfer als damals geltend gemacht werden.

 

Im übrigen ist mir nicht bekannt, daß, abgesehen von einigen außergewöhnlichen Vorgängen in mittel- und südamerikanischen Republiken, die ich nicht als nachahmenswerte Vorbilder für ähnliche Versuche in Deutschland ansehen möchte, in den großen republikanischen Staaten der Welt - in Amerika und Frankreich - der verfassungsmäßig niedergelegte Hergang der Wahl des Reichsoberhauptes jemals verlassen worden wäre.

 

Die von Ihnen, Herr Reichskanzler, mir als analogen Fall entgegengehaltene Meinung, der Präsident der Exekutive der französischen Republik, Adolphe Thiers, sei ebenfalls entgegen den Bestimmungen der französischen Verfassung durch Parlamentsbeschluß in seinem Amte auf Lebensdauer verlängert worden, beruht auf einem Irrtum. Der Präsident der französischen Republik wird überhaupt nicht vom Volk, sondern von einer Nationalversammlung gewählt, die sich aus den Mitgliedern der Deputiertenkammer und des Senats zusammensetzt. Es ist natürlich jederzeit möglich, daß dieses vergrößerte Parlament einen Präsidenten in seinem Amte verlängert, da ein solcher Beschluß verfassungsmäßig dann eine Neuwahl wäre, die von der hierzu befugten Instanz vorgenommen wird und von der Verfassung zugelassen ist. Adolphe Thiers selbst hat übrigens niemals auf Lebensdauer eine Verlängerung seiner Präsidentschaft erhalten, sondern wurde im Gegenteil 1873 gestürzt.

 

Ich habe daher, Herr Reichskanzler, persönlich berechtigte Zweifel, daß ein solcher Vorgang überhaupt verfassungsrechtlich zulässig ist, wenn in der Verfassung ein wirkliches Fundament des staatlichen Lebens erblickt werden soll. Die Würde des Reichspräsidenten verlangt die Entscheidung durch das Volk. Sollte aber trotzdem die Auslegung, daß eine Zweidrittelmehrheit des Reichstages entgegen der klaren Bestimmung der Reichsverfassung einer Volksabstimmung gleichzusetzen sei, angenommen werden, dann müßte meines Erachtens aber zumindest eine selbstverständliche Voraussetzung erfüllt sein:

 

Die Zusammensetzung des Reichstages muß den augenblicklichen und wirklichen Willen des Volkes tatsächlich und erweisbar zum Ausdruck bringen.

 

Ihre Meinung, Herr Reichskanzler, daß im Interesse der Kontinuität der Führung der politischen Geschäfte auf eine Wahl verzichtet werden müsse, weil sich durch einen in ihr äußernden neuen Willen unter Umständen eine Änderung in personeller und sachlicher Richtung hin ergeben könnte, widerlegt sich durch sich selbst. Denn weil die Demokratie die Auffassung vertritt, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und damit sämtliche Repräsentanten der Staatsgewalt nur Mandatare des Volkswillens sind, unterwirft sie die Leitung der politischen Geschäfte persönlich und damit auch sachlich der von Zeit zu Zeit vorzunehmenden Nachprüfung durch das Volk. Indem durch die Verfassung sowohl der Volksvertretung als auch dem Reichspräsidenten eine bestimmte, begrenzte Geltungsdauer zugemessen wird, berücksichtigt sie die Änderungen in der politischen Willensbildung des Volkes, die sich aus der Beurteilung der Leistungen der vom Volk gewählten Regierung ergeben und einstellen. Nach der Auffassung der Demokratie soll aber gerade diese Einstellung in den von Zeit zu Zeit sich wiederholenden Wahlen ihre ausdrückliche Berücksichtigung finden. Es ist dabei gänzlich belanglos, wie lange in dem vorliegenden Falle der Reichstag schon als gewählt erscheint und wann seine normale Wiederwahl stattfinden soll. Denn laut Verfassung soll die Reichspräsidentenwahl 1932 stattfinden. Damit aber ist es für diese Wahl nicht wesentlich, welche politische Auffassung die deutsche Nation am 14. September 1930 besaß, sondern entscheidend, welche politische Willensbildung sie im März 1932 besitz. Selbst wenn demnach angenommen werden könnte, der Reichstag sei befugt, die Urwahl durch eine einfache Abstimmung zu ersetzen, so müßte doch als logische Vorbedingung die restlose Übereinstimmung des Willensausdrucks des Reichstags mit der in diesem Zeitpunkte vorhandenen Willensbildung der Nation garantiert sein.

 

Da dies nachweisbar weder der Fall ist, noch überhaupt der Fall sein kann, müßte schon in Ansehung der Würde des Herrn Generalfeldmarschalls demnach zuerst der Reichstag, der ihn in seinem Amte neu zu wählen berufen ist, dem Willen des Volkes entsprechend zusammengesetzt sein. Praktisch würde damit aber gerade das erreicht, was erst vermieden werden sollte: Es fände dennoch eine Wahl statt. Alle sonst gegen eine Neuwahl angeführten Gründe innen- und außenpolitischer Natur können niemals ein Freibrief zur Verletzung der Verfassung sein, selbst wenn diese Verletzung eine buchstabenmäßige Begründung fände, dem inneren klaren Sinn und Geist der Verfassung aber widerspräche.

 

Die Lebensvoraussetzung der deutschen Nation ist die Überwindung des heutigen Systems. Ganz abgesehen von diesen verfassungsrechtlichen Erwägungen sind mir aber vor allem die Gründe unverständlich, die diesen Versuch motivieren sollten. Herr Reichskanzler, Sie sind der Auffassung, daß die schwierigen außenpolitischen Verhandlungen keine innerpolitischen Wahlen vertrügen. Ich glaube nicht, daß diese Meinung den Nagel auf den Kopf trifft. Denn mit wesentlich mehr Recht könnte ich als Führer der größten Oppositionspartei folgendes erklären:

 

Das innerpolitische Regiment in Deutschland, dessen Gesamtverantwortlichkeit für die Lage des Reiches seit zwölf Jahren man nicht zu bestreiten vermag, kann aus inneren politischen Selbsterhaltungsgründen keine Wahlen brauchen, während umgekehrt alle außenpolitischen Erwägungen sie gebieterisch erfordern.

 

Der Verfall unseres einst großen und mächtigen Reiches hat seinen Ausgangspunkt nicht so sehr in außenpolitischen Aktionen als vielmehr in der innerpolitischen Zerstörung unseres Volkskörpers und seiner allgemeinen Widerstandsfähigkeit durch die Parteien, die das heutige System verkörpern. Die unvermeidliche Voraussetzung für künftige außenpolitische Erfolge ist daher die innerpolitische Überwindung der weltanschaulichen und parteilichen Zersetzungsarbeit, die mit dem November 1918 einst ihr Ziel erreichte und Deutschland dorthin trieb, wo es sich heute befindet.

 

Gewiß gibt es zur Zeit Politiker, die in der endlich festgestellten Zahlungsunfähigkeit Deutschlands einen eminenten Erfolg einer klug angelegten Politik erkennen möchten. Im kaufmännischen Leben würde man über solche Auffassungen nur verwunderlich den Kopf schütteln. Es scheint mir immerhin leichter zu sein, die Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens herbeizuführen als die Rentabilität. Sollte man aber wirklich in der nunmehr zweifelsfrei feststehenden Tatsache des totalen wirtschaftlichen Zusammenbruchs Deutschlands eine politische Leistung erblicken, dann bliebe höchstens die Stümperhaftigkeit zu vermerken, die zwölf Jahre bedurfte, um qualvoll zu vollziehen, was geschicktere Menschen vielleicht schon in drei Jahren hätten demonstrieren können. Wenn man, um die Notwendigkeit der Existenz eines Unternehmens zu beweisen, dieses vorher erst zugrunde richten muß, dann sollte man zumindest die Qual abkürzen und beschleunigt sterben lassen, was nach der Ansicht einer höheren Staatskunst, um das Anrecht zum Leben zu erweisen, vorher umgebracht werden muß.

 

Wenn aber ein solcher Vorgang eine wirtschaftliche Voraussetzung zum wirtschaftlichen Wiederaufstieg ist, dann ist nicht einzusehen, wieso überhaupt innerpolitische Wahlen dabei von Schaden sein könnten. Denn Sie, Herr Reichskanzler, sehen den Schaden doch wohl darin, daß die nach Ihnen Kommenden schlimmer sein könnten als Sie selbst, d. h. aber doch nichts anderes, als daß sie den Prozeß der praktischen Demonstration des wirtschaftlichen Zusammenbruchs höchstens noch beschleunigen könnten. Dieses aber müßte ja nach den Auffassungen der heutigen deutschen Staatskunst nur erwünscht und deshalb zu begrüßen sein. Oder sollte man am Ende gar befürchten, daß durch einen Sieg der nationalsozialistischen Bewegung diese geniale politische Zielsetzung, der völlige wirtschaftliche Ruin, durchkreuzt würde?

 

Herr Reichskanzler, ich zweifle keinen Augenblick, daß politische Tribute an der effektiven Zahlungsunfähigkeit, d. h. am tatsächlichen wirtschaftlichen Zusammenbruch einer Nation, scheitern können. Ich glaube aber nicht, daß eine durch solche Tatsachen erzwungene Nichterfüllung vorher unterschriebener Verträge ohne weiteres in einen gültigen Rechtszustand verwandelt wird, wenn nicht außer dem wirtschaftlichen Unvermögen des Schuldners politische Zweckmäßigkeiten für den Gläubiger sichtbar werden.

 

Daß Deutschland heute nicht mehr bezahlen kann, Herr Reichskanzler, ist kein politisches Verdienst irgendeiner Regierung, sondern eine durch eine unvergleichlich fehlerhafte politische Leistung herbeigeführte, mit unfaßbarem Leid und grauenhafter Not verknüpfte Katastrophe. 13 Jahre währte dieser durch eine unverantwortliche Illusionspolitik eingeleitete und durchgeführte Zusammenbruch. Die Tatsache nun, daß es gelingt, in 13 Jahren ein gesundes Unternehmen vollständig zahlungsunfähig zu machen, ist keineswegs eine Garantie dafür, daß damit im 14. Jahr ein Wiederaufstieg beginnt. Auf keinen Fall dann, wenn die Männer des Zusammenbruchs, statt mit ihm zu verschwinden, auch Direktoren des Wiederaufstieges sein möchten.

 

Es kann alles zur Tradition werden. Sauberkeit genauso wie Schlamperei und Fäulnis wie Größe. Wenn aber ein System im 13. Jahr seines Bestandes auf keinen größeren Aktivposten hinzuweisen vermag als den, durch eine vollkommene Pleite den Gläubiger endlich von der Zahlungsunfähigkeit überzeugt zu haben, dann scheint mir ein solches Verfahren kaum weniger außerhalb der Tradition eines Systems zu liegen, als das System, das einst Deutschland aufbaute, sich ebenfalls einer Tradition rühmen durfte.

 

Ich glaube daher, daß hier tatsächlich zwei Traditionen in Erscheinung treten: Jene Tradition, die einst Deutschland geschaffen hat, und diese Tradition, die es vernichtete.

 

Ich verstehe daher nicht, wieso ausgerechnet die Parteien, die einst die ehrenvolle Entwicklung des alten Reiches politisch und wirtschaftlich jäh unterbrachen, heute an einer Kontinuität der politischen Führung hängen können, deren Befähigung zum Zerstören ebenso restlos erwiesen wird, wie ihre Unfähigkeit zum Neuaufbau allein schon aus der Tradition ihres Wirkens eindeutig und klar hervorgeht.

 

Ich glaube vor allem nicht daran, daß die Schwäche, außenpolitisch gesehen, plötzlich ein Vorzug sein könnte. Und ich glaube noch weniger, daß eine Regierung, deren innerpolitisches Fundament nur in der Angst eines Systems begründet ist, das, von schlechtem Gewissen erfüllt, die Auseinandersetzung mit dem Gegner scheut, ein wirksamer oder gar würdiger Repräsentant einer Nation wäre.

 

Wenn z. B. eine große politische Organisation, von deren Geneigtheit die heutige Regierung abhängig ist, erklärt, daß sie an sich dem Reichspräsidenten nichts entgegenbringen könne, aber ihn als kleineres Übel empfinde, und deshalb, um den Sieg des gefürchteten Nationalsozialismus zu vermeiden, selbst einen Hindenburg noch lieber nehmen würde, dann ist die Regierung nur zu bemitleiden, die in solchen Instinkten die Wurzeln ihrer starken Kraft sieht. Ich zweifle nicht, daß sich in einer unfair ausgelegten Demokratie auch auf solcher Basis noch eine Regierungsgewalt schlecht und recht erhalten kann.

 

Aber ich bin überzeugt, daß man die Nation bemitleiden muß, die das Unglück besitzt, von einer solchen Gewalt nach außen vertreten zu werden. Ernstliche Erfolge sind dann nicht zu erwarten. Die Beseitigung des herrschenden Systems ist ein außenpolitischer Gewinn Deutschlands. Ich glaube nicht, daß im Völkerleben auf Rechte Verzicht geleistet wird, wenn nicht Vorteile geboten werden. Man kann nicht auf die Dauer annehmen, daß ein Volk durch ein Regiment wirkungsvoll nach außen vertreten werden kann, wenn dieses Regiment für die Notwendigkeit seines Daseins nichts anderes anzuführen hat als die Drohung mit dem, was an seiner Stelle käme, wenn es nicht mehr wäre. Wenn heute eine Regierung die Wichtigkeit ihres Daseins in London begründet mit dem ansonst drohenden Bolschewismus und in Paris mit dem ebenso schrecklichen Nationalismus, dann ist das für mich als ebenfalls herangezogenem Schrecken höchst ehrenvoll, für die deutsche Nation aber peinlich.

 

Ich halte es jedenfalls vom Standpunkt der Repräsentation des deutschen Volkes nach außen für unumgänglich notwendig, daß ein Regiment kommt, dessen Existenz weder der Angst noch des Hinweises auf die zur Verfügung stehenden staatlichen Machtmittel bedarf, sondern das aus eigener Kraft, wurzelnd im Willen der Nation, seine Daseinsberechtigung schöpft.

 

Ich sehe daher, Herr Reichskanzler, in jedem Vorgang, der zur Überwindung des heutigen Systems führen kann, einen außenpolitischen Gewinn Deutschlands. Ich sehe darin die einzige Möglichkeit, die deutsche Nation wieder vom Objekt des außenpolitischen Geschehens zu einem wertvollen Mitglied der zivilisierten Staatengemeinschaft zu machen. Erst wenn Deutschland wieder etwas zu bieten hat, wird man ihm etwas geben. Die effektive Unmöglichkeit der Erfüllung bestimmter Verträge wird erst dann in einen vernünftigen Rechtszustand verwandelt, wenn für bestimmte Mächte die Freundschaft mit Deutschland mehr Gewinn bringt als das Beharren auf Verträgen, deren Rechtsgültigkeit man aus unserer Unterschrift ableitet, deren Erfüllbarkeit sich als praktisch unmöglich erwiesen hat und deren Zweckmäßigkeit damit an sich nur mehr eine relative ist. Somit ist die Frage der außenpolitischen Rehabilitierung Deutschlands letzten Endes eine Frage der moralischen Rehabilitierung unseres Volkes im Inneren und damit eine Frage der Überwindung eines Systems, das in der Geschichte unzertrennlich verbunden sein wird mit der Periode der inneren und damit äußeren Entwertung unseres Volkes, begonnen im November 1918 und, so Gott will, beendet in einer nicht zu fernen Zeit.

 

Auch aus diesen Erwägungen heraus muß ich daher einen Versuch ablehnen, der in der ganzen Art seiner Durchführung mir ein Beweis dafür zu sein scheint, daß man auf diesem Wege ein System zu retten gedenkt, dessen Vernichtung die Lebensvoraussetzung der deutschen Nation ist.

 

Im übrigen ist es auch noch eine Frage der Moral, zumindest in unseren Augen, ob es erträglich erscheint, jahrelang als Staatsfeinde verfemt zu werden, um dann als Menschen zweiter Klasse plötzlich mit dem Vorantritt bei einer Rettungsaktion beehrt zu werden, deren Wortführer anscheinend kein Gefühl für das berechtigte Erstaunen der also Bevorzugten besitzen.

 

Auch aus dieser Empfindung heraus muß ich daher Ihren Vorschlag, Herr Reichskanzler, ablehnen. Ich bedauere nur nochmals, daß in diese Aktion zur Rettung des Systems der Name des Reichspräsidenten einbezogen wurde, für den wir Mitkämpfer des großen Krieges, als dem Generalfeldmarschall unserer Heere, unveränderliche ehrerbietige Dankbarkeit empfinden.

 

Mit vorzüglicher Hochachtung!

Adolf Hitler